Über den Autor:
Marcel Braun zählt zu den führenden D&O- und Financial Lines-Experten in Deutschland. Seit dem Jahr 2000 ist er in leitenden Positionen bei internationalen Versicherern und Maklerhäusern tätig, aktuell als CEO der hendricks GmbH. Mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung im Risikomanagement für Führungskräfte und Unternehmen kennt er die Entwicklungen des D&O-Marktes wie kaum ein Zweiter. Marcel Braun ist zudem Co-Autor des Fachbuchs „D&O-Versicherung für Unternehmen“ und gefragter Ansprechpartner in Fachkreisen.
Einleitung
Die Managerhaftung steht unter Druck: Die Zahl der D&O-Schadensfälle steigt seit Jahren kontinuierlich – und mit ihr die Unsicherheit auf Unternehmensseite. Wer heute Führungsverantwortung trägt, sieht sich nicht nur steigenden Erwartungen seitens Stakeholdern und Aufsichtsbehörden gegenüber, sondern auch einem zunehmend komplexen Haftungsumfeld.
Ob Projektversagen, fehlerhafte Fördermittelverwendung oder Verstöße gegen Compliance-Pflichten – die Liste möglicher Anspruchsgründe ist lang. Hinzu kommen verschärfte regulatorische Anforderungen und eine wachsende Bereitschaft von Gläubigern und Insolvenzverwaltern, rechtliche Schritte einzuleiten. Besonders alarmierend: Immer häufiger geraten auch ehemalige Führungskräfte ins Visier.
Dieser Beitrag beleuchtet aktuelle Entwicklungen in der D&O-Schadenpraxis anhand konkreter Daten aus der hendricks-Schadendatenbank. Er zeigt, welche Fallstricke in der Praxis besonders relevant sind – und was das für die Ausgestaltung und Betreuung des Versicherungsschutzes bedeutet.
I. Steigende Ansprüche und neue Herausforderungen
Die D&O-Versicherung verzeichnete im Jahr 2023 eine merkliche Zunahme der Schadensfälle. Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) stieg die Zahl der Fälle um knapp sieben Prozent auf 2.200. Im Schnitt knapp 100.000 Euro pro Fall leisteten die Versicherer, in Summe gut neun Prozent mehr als im Vorjahr. Der GDV sieht einen klaren Zusammenhang mit der Zunahme der Unternehmensinsolvenzen, aufgrund derer sich Manager häufiger Haftungsansprüchen ausgesetzt sehen. Auch aus verschärften Compliance-Anforderungen ergeben sich weiterhin hohe Haftungsrisiken Wie sich die Risikolandschaft und insbesondere D&O-Schäden in den vergangenen Monaten entwickelt haben, zeigt eine Analyse der hendricks Schadendatenbank. Ausgewertet wurden rund 500 Schadenfälle im Zeitraum von 2019 bis 2024.
D&O-Versicherungsfälle sind komplex und rechtlich betrachtet meist mit hohen Unklarheiten verbunden. Nur etwa sieben Prozent der gemeldeten D&O-Fälle zeigen eine klare Haftungslage. Wenig überraschend entfallen rund 70 Prozent der Zahlungen aus D&O-Policen auf Rechtsberatungs- und Verfahrenskosten.
Mehr als 90 Prozent der D&O-Verfahren auf Schadenersatz enden mit einem Vergleich, oftmals jedoch erst nach Einreichung einer Klage. Dass Endurteile selten sind, deutet darauf hin, dass die Parteien in den meisten Fällen eine möglichst schnelle und geräuschlose Einigung anstreben, um Kosten und Öffentlichkeit zu vermeiden. Die Abwicklungszeiten variieren je nach Unternehmensgröße stark: Im Mittelstand beträgt die durchschnittliche Dauer eines D&O-Verfahrens etwa drei Jahre, während es bei Großunternehmen rund sieben Jahre sind. Die langen Abwicklungszeiten sind vor allem auf Haftungsstreitigkeiten über mehrere Instanzen und häufige Deckungseinwände durch Vorsatzbehauptungen zurückzuführen.
Drastisch erhöht hat sich in den vergangenen drei Jahren die Zahl der Fälle, in denen ehemalige Führungskräfte in Anspruch genommen werden. Waren 2021 noch etwa 80 Prozent der in Anspruch genommenen Manager zum Zeitpunkt des Anspruchs weiterhin im Unternehmen tätig, waren es 2024 nur noch rund 30 Prozent.
Die Daten zeigen, dass immer mehr Fälle in die Nachmeldefrist von Vorverträgen fallen. Besonders bei der Anpassung von Versicherungsschichten innerhalb eines bestehenden Versicherungsschutzes können Deckungslücken entstehen, wenn nicht alle Aspekte berücksichtigt werden. Diese können im Schadenfall zu erheblichen Problemen führen.
II. Haftungsansprüche – die 10 häufigsten Gründe
Die zehn häufigsten Gründe für Haftungsansprüche verdeutlichen die potenziellen Risiken und Herausforderungen, denen Führungskräfte ausgesetzt sind.
1. Projektfehler
Projektfehler zählen zu den häufigsten Haftungsgründen. Sie treten auf, wenn Mängel im Projektmanagement wie etwa unzureichende Planung oder Fehler bei der Umsetzung zu finanziellen Verlusten führen. Besonders komplexe Projekte bergen ein erhöhtes Risiko, da die Koordination mehrerer Abteilungen oder externer Partner oft zu Missverständnissen und Fehlentscheidungen führen kann.
2. Unzureichende Organisation und Überwachung
Eine wesentliche Pflicht von Führungskräften ist die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Organisation und Überwachung der operativen Abläufe. Mängel in der internen Organisation oder eine unzureichende Überwachung können zu Haftungsansprüchen führen. Besonders wichtig ist hier die Einrichtung eines Compliance-Systems, um die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sicherzustellen.
3. Insolvenzbezogene Forderungen
Die Haftung im Zusammenhang mit Insolvenzen ist ein häufiges Risiko für Manager. Vorwürfe der Insolvenzverschleppung oder fortgesetzte Zahlungen trotz bestehender Zahlungsunfähigkeit sind typische Gründe für Haftungsansprüche. Darüber hinaus können auch Verstöße gegen Kapitalerhaltungsvorschriften zu erheblichen Forderungen führen.
4. Strafrechtliche Ermittlungen und behördliche Verfahren
Manager sehen sich nicht nur zivilrechtlichen, sondern auch strafrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt. Ermittlungen und Verfahren durch Strafverfolgungsbehörden aufgrund von Untreue oder Betrug belasten die betroffenen Führungskräfte erheblich.
5. Steuerthemen ohne Insolvenzbezug
Auch steuerliche Verfehlungen sind häufige Ursachen für Haftungsansprüche. Fehlerhafte Steuererklärungen, unterlassene Steuerzahlungen oder falsche Buchhaltungsangaben können zu Nachforderungen führen.
6. Kartell- und Datenschutzverstöße
Verstöße gegen das Kartellrecht und gegen Datenschutzvorgaben aus der DSGVO führen vermehrt zu Bußgeldern. Bei illegalen Preisabsprachen oder unrechtmäßiger Datenverarbeitung können Unternehmen und ihre Organe zur Verantwortung gezogen werden.
7. Rückforderung von Fördermitteln, Subventionen und Coronahilfen
Manager haften auch bei Verstößen gegen die Bedingungen von Fördermitteln oder staatlichen Hilfen. Rückforderungen drohen, wenn die Mittel zweckentfremdet wurden oder die erforderlichen Nachweise fehlen. Fehlerhafte Anträge oder die Nichteinhaltung von Fristen können ebenfalls zu Regressansprüchen führen.
8. Untersuchungen von Aufsichtsbehörden im Bereich Finanzen
Unternehmen im Finanzsektor werden regelmäßig durch Behörden wie die BaFin oder die EZB überprüft. Verstöße gegen regulatorische Anforderungen führen zu erheblichen Sanktionen und Haftungsrisiken für die verantwortlichen Manager.
9. Unzureichende Schutzkonzepte und Versicherungen
Manager sind verpflichtet, geeignete Schutz- und Absicherungskonzepte für das Unternehmen zu etablieren. Wenn etwaige Risiken nicht ausreichend abgedeckt sind oder Versicherungen fehlen, können daraus Schadensersatzansprüche folgen.
10. Fehler im Rahmen von M&A-Transaktionen
Fehler im Rahmen von M&A-Transaktionen – insbesondere bei der Due Diligence oder der Bewertung von Kaufpreisen – können zu erheblichen finanziellen Verlusten führen. Manager haften in diesem Zusammenhang für unzureichende oder falsche Risikoeinschätzungen.
III. Fazit
Die überwiegende Zahl der D&O-Fälle ist höchst komplex und mit vielfältigen Haftungsrisiken für Manager verbunden. Auch wenn neun von zehn D&O-Verfahren mit einem Vergleich enden, ziehen sich die Verfahren meist über mehrere Jahre hin und sind mit entsprechend hohen Kosten, vor allem für die Rechtsberatung, verbunden. Der zunehmende Anteil an ehemaligen Führungskräften, die zur Verantwortung gezogen werden, stellt eine besondere Herausforderung für die Versicherungsbranche dar. Eine gut strukturierte Umdeckungsstrategie ist in diesen Fällen wesentlich, um Deckungslücken auch in komplexen Haftungssituationen zu vermeiden.