Hard cases make bad law: Kardinalpflichten von Geschäftsleitern und Wissentlichkeitsausschluss in der D&O-Versicherung (Streifzug 6)

      1. Ausgangspunkt
        1. Vorsatz, Wissentlichkeit und ihre Darlegung im Prozess

§ 103 VVG schließt vorsätzliche Pflichtverletzungen vom Versicherungsschutz aus; Vorsatz schließt dolus eventualis ein, also Fälle, in denen der Betreffende von einer Pflichtverletzung nicht sicher ausgeht, sie aber für möglich hält.[i] Berufshaftpflicht- und D&O-Versicherungen überformen dies typischerweise durch einen Deckungsausschluss bei „wissentlichen Pflichtverletzungen“. Letztere erfordern dolus directus zweiten Grades; sie erfordern also, dass der Versicherte die Pflicht kannte, die er verletzte, und sich der Pflichtverletzung bewusst war.[ii] Nach einer Entscheidung des BGH von 2014[iii] trägt der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast für die wissentliche Pflichtverletzung und muss diese innere Tatsache belegen, indem er Anknüpfungstatsachen vorträgt, die als schlüssige Indizien für eine wissentlichen Pflichtverletzung betrachtet werden können[iv]. Erst wenn der Versicherer dies getan hat, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, das Gegenteil aufzuzeigen.[v] Diese Dialektik hat der BGH in seinem Urteil von 2014 wie folgt ergänzt: „Dabei wird der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien dann entbehrlich sein, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann, so wie dies etwa in einem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Fall[vi] gewesen ist [Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen, kein Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen und den Mandanten über den Verfahrensstand zu unterrichten] … . Jenseits der Fälle der Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann“, bleibt es nach dem BGH aber bei der dargelegten Aufgabe des beweispflichtigen Versicherers, Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können.

        1. Der Belang von „Kardinalpflichten“

Für den Streitfall hielt der BGH Kardinalpflichten allerdings nicht für verletzt, obwohl dem Versicherten vorgeworfen wurde, keinen Liquiditätsplan aufgestellt und die Liquiditätslage unter Einbeziehung „unbestimmter Hoffnungen“ (Erlös aus Verwertung des Warenlagers) eingeschätzt zu haben. Das OLG Köln zum Wissentlichkeitsausschluß in der anwaltlichen Berufshaftpflichtversicherung, auf das der BGH a.a.O. (Rn. 21) verweist, hat sich wiederum nicht allein auf die Verletzung besonders wichtiger Pflichten gestützt. Nach dem Urteil[vii] sind „die Gesamtumstände des anwaltlichen Mandats, der Inhalt des Pflichtenkreises und die Motivation hinsichtlich des wissentlichen Pflichtverstoßes zu berücksichtigen“. Zwar sei anzunehmen, „dass der Versicherungsnehmer die geläufigen Vorschriften und Pflichten kennt. Kenntnis und Wille, die Pflichten nicht zu beachten, sind [jedoch] innere Tatsachen, auf die auf Grund von Indizien geschlossen werden kann.“ Es könne „aus dem äußeren Geschehen und der Fundamentalität der Pflichtverletzung von einer wissentlichen Pflichtverletzung ausgegangen werden“. Bei „Verletzung von Elementarwissen“ müsse man vom Versicherungsnehmer verlangen (sekundäre Darlegungslast), dass er die Verletzung „plausibel macht und darlegt, aus welchen Gründen es zum Verstoß gekommen ist“.

        1. Schlußfolgerung

Hiernach taugen die Entscheidungen von BGH und OLG Köln nicht als klare Richtschnur, und zwar weder bei der Frage, was eine „berufliche Kardinalpflicht“ ist, noch zur Frage, wieviel Vortrag im Falle ihrer Verletzung im Hin und Her des prozessualen Parteivortrags jeweils nötig ist und welche Folgen sie am Ende zeitigt. Denn OLG Köln leitet die Wissentlichkeit aber aus einer Kombination des Grundlagencharakters der verletzten Pflicht und dem eigenen Vortrag des Versicherten ab. Der BGH wiederum verlangt, dass „elementare berufliche Pflichten“ verletzt sind, „deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann“.

        1. Der Streit um die „Kardinalpflichten“

Auch im Schrifttum ist es umstritten, wie man Kardinalpflichten bestimmt und ob und unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall ihnen in der Dialektik des Parteivortrags die vom BGH beschriebene Wirkung zukommen kann. So ist kritisiert worden, die Kardinalpflichten aus der Berufshaftpflichtversicherung (Anwaltshaftung nach OLG Köln) ließen sich nicht auf die D&O-Versicherung übertragen, weil es für Geschäftsleiter kein einheitliches Berufsbild gebe;[viii] ferner könne aus einer „Kardinalpflichtverletzung“ über die Mechanik der sekundären Beweislast allenfalls im Einzelfall und mit schwacher Indizkraft, nicht aber vertypt auf Wissentlichkeit geschlossen werden.[ix] Andere folgen demgegenüber der Rechtsprechung und gehen auf ihrer Grundlage der Frage nach, welche Geschäftsleiterpflichten kardinal sind.[x]

      1. Die drei Entscheide des OLG Frankfurt

Drei Entscheide des OLG Frankfurt von 2025 vertiefen und erweitern die BGH-Rechtsprechung für den Insolvenzbereich:

        1. Beschluss vom 16.01.2025 – 7 W 20/24

In einem Beschluss vom 16.01.2025[xi] gibt das OLG die BGH-Vorgabe wieder, ergänzt sie allerdings dahin, dass es sich um „berufliche Kardinalpflichten [handeln muss], in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann“.[xii] Im Streitfall sah das OLG folgende Pflichten verletzt und stufte sie als Kardinalpflichten ein:

(1) Die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsleitung nach Eintritt der Insolvenzreife; die Pflicht werde durch die Strafvorschrift in § 15a Abs. 4 InsO besonders hervorgehoben;

(2) die Pflicht von Geschäftsleitung, Aufsichtsorgan und leitenden Angestellten, (a) weder sich noch Dritten aus dem Unternehmensvermögen Vorteile zu gewähren, auf die kein Anspruch besteht, und (b) das Unternehmensvermögen nicht für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden;

(3) die Pflicht eines Geschäftsleiters (auch einer UG), sich der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft zu vergewissern und die Insolvenzreife „eingehend“ zu prüfen, sowie zur „beständigen wirtschaftlichen Selbstkontrolle“.

Ähnlich wie das OLG Köln in der Anwaltshaftpflicht hat das OLG Frankfurt aber ergänzt, der Vortrag des Geschäftsführers habe die „Indizwirkung des Verstoßes gegen Kardinalpflichten“ für die Wissentlichkeit seines Pflichtverstoßes nicht nur nicht entfallen lassen, sondern umgekehrt erhellt, dass der Geschäftsführer „die die Zahlungsunfähigkeit begründenden Tatsachen entweder kannte oder sich dieser bewusst verschlossen hat, weil er etwa vermeiden wollte, dass aus einem begründeten Verdacht Gewissheit werde“. [xiii] Zudem hat sich OLG Frankfurt wie OLG Köln nicht auf die Kardinalpflichtverletzung beschränkt, sondern zur Herleitung der Wissentlichkeit weitere Indizien ausgewertet (erheblicher Zahlungsrückstand gegenüber dem Fiskus, , erhebliche Barauszahlungen von Gewicht, Abwesenheit zu erwartender Forderungseingänge, Zahlungsablehnungen etc.).

        1. Urteil vom 05.03.2025

In einem Urteil vom 05.03.2025[xiv] wiederholt das OLG die Positionen seines vorherigen Entscheids. Das OLG hielt es auch nicht für entlastend, dass der Geschäftsführer ein Handwerksmeister war.

Das OLG stuft in dem Entscheid ferner das Zahlungsverbot nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. als Kardinalpflicht ein. Denn die Unterlassung des Insolvenzantrags ermögliche masseschmälernde Verfügungen, weswegen die beiden Pflichtverstöße in aller Regel zusammen vorlägen.[xv] Ferner würde ohne Kardinalcharakter das für den Gläubigerschutz zentrale Zahlungsverbot „entwertet und [seine] Verletzung sanktionslos gestellt, da die Berechnung des reinen Insolvenzverschleppungsschadens großen Schwierigkeiten begegnet“. Auch verbiete die Strafbewehrung des § 15a InsO „eine umfassende Privilegierung“ des Versicherten, die Antragspflicht und das Zahlungsverbot könnten nicht trennscharf unterschieden werden und dienten dem einheitlichen Zweck, Unternehmen und Gläubiger zu schützen. [xvi] Etwaige Wissentlichkeitsindizien bei einem Verstoß gegen irgendeine dieser Pflichten indizierten zugleich die wissentliche der Verletzung der anderen Pflichten.[xvii]

Auch hier bleibt das OLG Frankfurt bei der Linie des OLG Köln, seine Würdigung nicht auf die Kardinalpflichtverletzung zu beschränken, sondern bei der Wissentlichkeit den Vortrag der Parteien und weitere Indizien zu würdigen (wiederholte Schreiben und Vollstreckungsandrohungen des Finanzamts wegen Rückständen, Androhung eines gewerberechtlichen Verfahrens durch das Finanzamt, Einräumung der Zahlungsunfähigkeit gegenüber dem Finanzamt durch einen Geschäftsführer, Übergehung von Belehrungen des Insolvenzverwalters).

        1. OLG Frankfurt, Urteil vom 08.05.2025

Im dritten Entscheid[xviii] hatten ehemalige Vorstände mit dem Insolvenzverwalter im Haftpflichtprozess einen Vergleich geschlossen und ihm ihre Deckungsansprüche abgetreten. Hier folgte das OLG Frankfurt (3. Senat) zunächst der Rechtsprechung des OLG Köln[xix] zum Direktprozess und hielt die Beweislastregel des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG auch dort für anwendbar, um „eine unangemessene Verschiebung des versicherten Risikos zu Gunsten des dann zunächst nicht darlegungs- und beweisbelasteten Versicherers“ zu vermeiden. Das Gericht behielt also Sinn und Zweck des Wissentlichkeitsausschlusses zunächst im Blick. Sodann wiederholt es die Standpunkte der beiden vorangegangenen Entscheidungen.

      1. Ungute juristische Parallelverschiebung

Gravitationszentrum aller Entscheidungen ist der Frage, welche Pflichten Kardinal- (oder elementare Berufs-)Pflichten sind. [xx] Die Antwort will OLG Frankfurt daraus ableiten, ob eine Pflicht (1) zu den zentralen, fundamentalen Grundregeln einer bestimmten Regelungsmaterie gehört, ob sie (2) durch eine Strafvorschrift (wie die des § 15a Abs. 4 InsO) „besonders hervorgehoben“ ist oder (3) ob sie den gleichen Zweck verfolgt wie eine andere Pflicht, die ihrerseits nach Kriterien (1) und (2) als Kardinalpflicht eingestuft werde (so das Zahlungsverbot, das den gleichen Zweck wie die Insolvenzantragspflicht verfolge)[xxi]. Diese Kriterien haben freilich nur indirekt mit der eigentlichen, vom OLG selbst gestellten Frage zu tun, ob nach der Natur der Pflichtverletzung „vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann“. [xxii] Diese - eigentliche – Frage ist schwierig, weil ihre Antwort (ohne die Kardinalrechtsprechung) nicht aus Regeln abgeleitet werden kann, sondern im Einzelfall anhand der Gesamtumstände erarbeitet werden muss. Nun verfolgt der Wissentlichkeitsausschlus den gleichen Zweck wie §§ 81, 103 VVG: Die Solidargemeinschaft der Versicherten darf nicht für bewusstes Fehlverhalten aufkommen (moral hazard): Versicherung soll kein Instrument zur Externalisierung bewusst genommener Risiken werden.[xxiii] Die drei dargelegten Kriterien des OLG Frankfurt haben damit nur wenig zu tun:

Dies gilt fundamental bei der D&O – Versicherung: Diese dient wirtschaftlich zugleich dem Schutz des Unternehmens und im Insolvenzfall dem Schutz der Gläubiger, und wird meistens vom Unternehmen arrangiert und bezahlt. Es ist paradox, wenn das OLG Frankfurt die genannten Pflichten im Vorfeld der Insolvenz just wegen ihres Zwecks, Gläubiger zu schützen, für kardinal hält und damit Deckung erschwert. Hier kann nicht den Fragen nachgegangen werden, ob hierin nicht ein Konstruktionsfehler der D&O-Versicherung liegt, den die Vertrauensschadenversicherung nur mangelhaft ausgleicht, und ob der „Wissentlichkeitsausschluß“, der auf die Geschäftsleiter abstellt, sich dazu eignet, die Ziele dieses Instruments zu erreichen.[xxiv] Für die Zwecke dieses Beitrags zeigen aber gerade die Entscheide des OLG Frankfurt, dass der Wald von umso mehr Bäumen verdeckt wird, je stärker sich der Blick auf die Frage konzentriert, ob es denn nun eine „Kardinalpflicht“ war, die verletzt wurde. [xxv]

Zum Zweiten: Auch auf Grundlage der gängigen D&O-Versicherungen verdeutlicht der dargelegte Zweck von §§ 81, 103 VVG und des Wissentlichkeitsausschlusses, dass die Suche nach Kardinalpflichten kein Zweck an sich ist, sondern nur bei Beantwortung der Frage helfen soll, ob die verletzte Pflicht so sonnenklar war, dass ein Verstoß dagegen „wissentlich“ gewesen sein „muss“. Vor diesem Hintergrund sind die Kriterien des OLG keineswegs zwingend,[xxvi] sondern Indizien unter anderen.

      1. “Bad law” und die Folgen für den Insolvenzverwalter
        1. Bad law?

Sind die Entscheidungen des OLG Frankfurt „hard cases“, die in „bad law“ resultieren? Nach den Feststellungen des Gerichts lagen in allen drei Fälle Sachverhalte vor, die offenbar eindeutig für Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzverschleppung sprachen, also „hard cases“. Daher lag es für das OLG in der Tat nahe, die Kardinalpflicht-Rechtsprechung nicht nur heranzuziehen, sondern zu erweitern und zu verfestigen. Die Entscheide vergrößern daher die in der Tat die dargelegte Gefahr, dass Gerichte künftig immer stärker um die Kardinalpflichten kreisen und darüber die eigentliche Frage aus dem Blick verlieren, ob Wissentlichkeit und unzulässige Externalisierung von Risiken vorliegen, wie der Wissentlichkeitsausschluss sie bekämpfen soll.

In Rechnung zu stellen ist bei alledem aber dreierlei: Erstens geht es auch nach dem OLG Frankfurt nicht um einen Beweisrechtssatz, wonach Kardinalpflichtverletzungen stets zur Wissentlichkeit führen. Vielmehr werden dem Versicherten und dem Versicherer nur erhöhte Darlegungslasten zugemutet, die diese zumeist erfüllen können, weil der Versicherte den Sachverhalt besser kennt als alle anderen Beteiligten, Versicherter und Versicherer auf der Haftungsseite meist zusammenwirken und sowohl dem Versicherten, als auch dem Versicherer Informationsansprüche zustehen.[xxvii] Zweitens sind auch die drei Entscheide nicht allein auf die Kardinalpflichtverletzung gestützt, sondern auf zusätzliche Indizien. Drittens und vor allem: Derartige Auseinandersetzungen sind meist ganz wesentlich durch den „Kampf um den Sachverhalt“ gekennzeichnet.[xxviii] Führen Geschäftsleiter bzw. Versicherer diesen Kampf sorgfältig und versiert, so kommt es auf die Darlegungslast regelmäßig gar nicht an.

        1. Das Dilemma des Insolvenzverwalters

Bei Insolvenzverstößen ergibt sich hier im Übrigen häufig eine eigenartige Konstellation, weil der klagende Insolvenzverwalter die Pflichtverletzung der Geschäftsleiter vortragen muss und damit der Versicherung ein Fundament für den Wissentlichkeitseinwand legt. So hat sich im dritten Fall des OLG Frankfurt[xxix] sich die Versicherung den Vortrag des Klägers zu eigen gemacht und damit im Streitfall nach Ansicht des Gerichts auch ausreichende Indizien für die Wissentlichkeit vorgetragen. Daraus ergeben sich schwierige Fragen für den Insolvenzverwalter, ob und wie er den Prozess führt.[xxx] Vergleichbare Fragen stellen sich zwar in Prozessen zur Geschäftsleiterhaftung und D&O-Haftung stets. Die Kardinalpflichtenrechtsprechung erschwert die Lage aus Klägersicht.

      1. Zusammenfassung

(1) Nach einem Urteil des BGH von 2014 braucht der D&O-Versicherer im Deckungsprozess beim Nachweis des Wissentlichkeitsausschlusses keine zusätzlichen Indizien vortragen, „wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann“ (sog. Kardinalpflichten).

(2) Nach drei Entscheiden des OLG Frankfurt sind auch die Insolvenzantragspflicht und das Zahlungsverbot nach § 64 S. 2 GmbGH a.F. solche Kardinalpflichten. Die Entscheide vergrößern die Gefahr, dass Gerichte die eigentliche Frage aus dem Blick verlieren, ob Wissentlichkeit und unzulässiges Externalisierung von Risiken vorlag, wie der Wissentlichkeitsausschluss sie bekämpfen soll.

(3) Freilich werden dem Versicherten bzw. dem Versicherer im Deckungsprozess nur erhöhte Darlegungslasten zugemutet, die diese zumeist erfüllen können, weil der Versicherte den Sachverhalt besser kennt als alle anderen Beteiligten, Versicherter und Versicherer auf der Haftungsseite meist zusammenwirken und sowohl dem Versicherten, als auch dem Versicherer Informationsansprüche zustehen.

(4) Darüber hinaus sind auch die Entscheide des OLG Frankfurt nicht allein auf die Kardinalpflichtverletzung gestützt, sondern auf zusätzliche Indizien. Derartige Auseinandersetzungen sind überdies meist ganz wesentlich durch den „Kampf um den Sachverhalt“ gekennzeichnet. Führen Geschäftsleiter bzw. Versicherer diesen Kampf sorgfältig und versiert, so kommt es auf die Darlegungslast regelmäßig gar nicht an.

(5) Trägt der klagende Insolvenzverwalter die Pflichtverletzung der Geschäftsleiter vor, so kann er damit dem Versicherer ein Fundament für den Wissentlichkeitseinwand legen. Daraus ergeben sich schwierige Fragen für den Insolvenzverwalter, ob und wie er den Prozess führt.

[i] BGH, 17.12.1986 - IV a ZR 166/85, VersR 1987, 174, 175; OLG Hamm, 07.03.2007 – 20 U 132/06, VersR 2007, 1550 f.; Korch/Lüttringhaus, Kardinalpflichten und D&O-Versicherung: Ein kardinales Mißverständnis, VersR 2024, 537, 538.

[ii] BGH, 09.11.2005 - IV ZR 146/04, VersR 2006, 106; BGH, 26.09.1990 - IV ZR 147/89, std. Rspr.; OLG Frankfurt, 16.01.2025 -7 W 20/24, NZG 2025, 803; OLG Frankfurt, 05.03.2025 – 7 U 134/23, NZG 2025, 851; OLG Köln, Urteil vom 29.11.2011 - 9 U 75/11, Rn. 46, VersR 2012, 560, 561.

[iii] BGH, 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015, 181, LS und Rn. 20.

[iv] Formulierung von OLG Frankfurt, 16.01.2025 -7 W 20/24, NZG 2025, 803.

[v] BGH, 17.12.2014 – IV ZR 90/13, VersR 2015, 181.

[vi] OLG Köln, 29.11.2011 - 9 U 75/11, Rn. 52 ff., VersR 2012, 560, 561.

[vii] OLG Köln, 29.11.2011 - 9 U 75/11, Rn. 52 ff., VersR 2012, 560, 561.

[viii] Vgl. Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97, 99.

[ix] Korch/Lüttringhaus, Kardinalpflichten und D&O-Versicherung: Ein kardinales Mißverständnis, VersR 2024, 537, 544 ff.; Schmidt-Husson, Was, um Himmels willen, ist eine „Kardinalpflicht“?, Festschrift für Thümmel, 2020, S. 811, 821; Isenbart, unveröffentlichter Vortrag vor der DGVH am 07.11.2024, S. 16.

[x] Lange, D&O-Versicherung und Mangerhaftung. 2. Aufl. 2022, § 11, Rn. 58 ff.; ders. VersR 2020, 588, 593 ff.

[xi] OLG Frankfurt, 16.01.2025 – 7 W 20/24, NZG 2025, 803 ff.

[xii] Zum Begriff des „Kardinalen“ interessant Korch/Lüttringhaus,Kardinalprlchten und D&O-Versicherung: Ein kardinales Mißverständnis, VersR 2024, 537 f., wonach der Begriff aus dem lateinischen Wort cardio für Türangel abgeleitet ist. Dort auch ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung in der Berufshaftpflichtversicherung, S. 539 ff. und kritisch zur Erstreckung auf die D&O-Versicherung, S. 544 ff.

[xiii] OLG Frankfurt, 16.01.2025 – 7 W 20/24, NZG 2025, 803, 804.

[xiv] OLG Frankfurt, 05.03.2025 - 7 U 134/23, NZG 2025, 851, 852.

[xv] Vgl. Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97 98.

[xvi] Das OLG folgt hier Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97, 99.

[xvii] Auch hier verweist das OLG auf Gruppe, r+s 2025, 97, 99.

[xviii] OLG Frankfurt, 08.05.2025 - 3 U 113/22.

[xix] OLG Köln, Urteil vom 21.11.2023 - 9 U 206/22, Rn. 91; vgl. dazu REUTER Compliance Blog vom 13.05.2024, https://www.reutercomplianceblog.com/artikel/aktuelle-olg-rechtsprechung-im-dickicht-der-d-o-versicherung-neue-schneisen-alte-wege/.

[xx] Vgl. Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97, 99; Lange D&O - Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl. 2022, § 11, Rn. 53.

[xxi] Zu ähnlichen Übertragungsüberlegungen Jüngel, NZI 2015, 272, 273. Entscheidend bleibt freilich, dass gerade die Pflichtverletzung, um die es geht, den geltend gemachten Schaden verursacht haben müssen, so auch OLG Düsseldorf, 08.11.2019 – I-4 U 182/17, VersR 2020, 968, 973, 975; Korch/Lüttringhaus,Kardinalprlchten und D&O-Versicherung: Ein kardinales Mißverständnis, VersR 2024, 537, 549; Reichel/Stößer, Anm. zu OLG Frankfurt vom 05.03.2025, NZG 2025, 854, 854. Vgl. aber auch Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97, 100, bei mehreren mitursächlichen Pflichtverletzungen.

[xxii] OLG Frankfurt, 16.01.2025 – 7 W 20/24, NZG 2025, 803, 804.

[xxiii] Vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 32.Aufl. 2024, § 81 Rn. 1 f.; Looschelders in Münchener Kommentar, VVG, 3. Aufl. 2022, § 81, Rn. 1.

[xxiv] Vgl. auch unten 4 b) zur häufigen Situation, dass der klägerische Vortrag der Versicherung in Insolvenzfällen das Fundament für den Wissentlichkeitseinwand legt.

[xxv] Ausführliche und systematische Darstellung der Indizien bei Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97, 98 ff.

[xxvi] Ebenso Reichel/Stößer, Anm. zu OLG Frankfurt vom 05.03.2025, NZG 2025, 854, 854.

[xxvii] Vgl. OLG Frankfurt, 05.03.2025 - 7 U 134/23, NZG 2025, 851, 853.

[xxviii] Plastisch Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97, 101 ff.

[xxix] OLG Frankfurt, 08.05.2025 - 3 U 113/22.

[xxx] Ebenso Gruppe, Indizien für eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht, r+s 2025, 97, 104 f..

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