Managerhaftung bei Insolvenzverschleppung: Die Haftung läuft nach Amtsende weiter (Streifzug 5)

Rechtsverstöße bei Insolvenzverschleppung bilden nach Fallzahlen den Schwerpunkt der Manager-Haftung. Zugleich nimmt die Zahl von Insolvenzen wieder zu. Auch steigt die Zahl der Gerichtsentscheidungen, die sich mit D&O – Haftungsfragen oder mit Fragen der Deckung durch D&O - Versicherer befassen. Daher unternehmen wir auf unserem Blog von Zeit zu Zeit Streifzüge durch praktische Aspekte der Insolvenzverschleppung unternommen werden, denen vor Gericht und im Vergleichsgespräch Bedeutung zukommen kann. Der folgende Streifzug ist der fünfte dieser Serie.

    1. § 15b InsO: Ausgangspunkte

Vgl. dazu Streifzug 1 vom 20.08.2024.

    1. Fragen rund um die Zahlungsunfähigkeit: Rechtliche Tomograhien

Vgl. dazu Streifzug 2 vom 06.10.2024, Streifzug 3 vom 06.01.2025 und Streifzug 4 vom 09.03.2025.

    1. Schadenskausalität und Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsleiters
      1. Schaden im Sinne des § 15b InsO / Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO
        1. Überblick

Schaden im Sinne des § 15b InsO ist der Abfluss von Mitteln aus dem Gesellschaftsvermögen.[i] Bei allen Schwierigkeiten erleichtert dies dem Insolvenzverwalter im Vergleich zu Ansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO (verspätete Antragstellung) die Rechtsverfolgung erheblich. Bei letzteren Ansprüchen kann nicht „einfach“ der Betrag der Zahlungen vor Insolvenzantragstellung, aber nach Insolvenzreife geltend gemacht werden. Denn Schaden im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO ist einerseits der dem einzelnen Altgläubiger entstandene Schaden, der darin liegt, dass sich infolge verspäteter Insolvenzantragstellung die Insolvenzmasse verringert und die auf seine angemeldete Forderung entfallende Quote geringer wird (Quotenschaden), und andererseits der Vertrauensschaden des Neugläubigers, der verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er bei Insolvenzantrag gestanden hätte: In diesem Fall hätte er den Vertrag nicht abgeschlossen, die Lieferung nicht ausgeführt etc. (negatives Interesse). Mithin muss bei § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO die Berechnung des erstgenannten Schadens (Quotenverringerungsschaden) an die Vermögenslage der Gesamtheit der Altgläubiger bzw. bei Berechnung des zweitgenannten Schadens (Vertrauensschaden von Neugläubigern) an die Vermögenslage der einzelnen Neugläubiger bei der Verfolgung von deren Vertrauensschaden anknüpfen. Da es sowohl beim Quotenverringerungsschaden , als auch beim Vertrauensschaden von Neugläubigern auf die Position der betreffenden Gläubiger ankommt und, anders als bei § 15b InsO, nicht auf die Masse, können beide Schadenstypen im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO nicht unabhängig vom Schadenseintritt bei den betroffenen Gläubigern begründet werden.[ii] Die betreffenden Ersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO unterscheiden sich von einander wiederum verfahrensrechtlich: Der Quotenverringerungsschaden ist ein Gesamtschaden im Sinn des § 92 InsO, den der Geschädigte nicht selbst gegen den Geschäftsleiter geltend machen kann, sondern nur der Insolvenzverwalter.[iii] Den Vertrauensschaden von Neugläubigern kann der Insolvenzverwalter demgegenüber nicht geltend machen, da es sich bei diesem Schaden nicht um einen Gesamtgläubigerschaden handelt. Das negative Interesse der Neugläubiger ist daher nicht einheitlich, sondern individuell zu bestimmen, und die Aktivlegitimation für diese Individualschäden liegt bei den Neugläubigern.[iv]

Die Schadensdarlegung ist bei § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO anspruchsvoll.[v]

        1. Das Urteil des BGH vom 24. Juli 2024

2024 hatte der BGH die Haftung eines ausgeschiedenen Geschäftsführers nach § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO zu beurteilen. Hierbei hat er die Kausalität einer Insolvenzverschleppung auf Verträge erstreckt, die Neugläubiger noch nach Ausscheiden des Geschäftsführers mit der insolvenzreifen Gesellschaft abgeschlossen haben.[vi] Dies geht weit und hat die ohnehin schon strenge Haftung weiter verschärft:

In Streitfall hatte die Klägerin mit einem bereits insolvenzreifen Unternehmen vier Verträge über die Anlage in Seefrachtcontainer abgeschossen, drei davon während der Amtszeit des Geschäftsführers, ein vierter erst nach dessen Ausscheiden aus dem Amt unter einer neuen Geschäftsführung. Die Klägerin forderte für alle vier Verträge Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung. Der BGH gab der Klage für alle vier Verträge statt; die Haftung eines Geschäftsführers ist daher nicht auf Schäden aus Verträgen begrenzt, die vor dem Ende der Amtszeit abgeschlossen wurden. Die Entscheidung nimmt sich aber nicht nur der Kausalität, sondern auch einer ganzen Reihe weiterer Fragen an:

aa) Konzerninsolvenz?

Bemerkenswert ist zunächst, dass die Überschuldung im Streitfall primär auf „eine gesellschaftsübergreifende Betrachtung ohne Darlegung der Überschuldung der einzelnen Vertriebsgesellschaften zum Zeitpunkt der jeweiligen Anlageverträge“ gestützt war, nicht auf die Überschuldung der jeweiligen Einzelgesellschaften. Der BGH hielt dies mit dem Berufungsurteil des OLG München für unerheblich, weil „die gesellschaftsübergreifende Betrachtung im Hinblick auf die gesellschaftsübergreifende Handhabung der gesamten Geschäftsabwicklung und des Liquiditätsmanagements gerechtfertigt und geboten sei und das von der Klägerin vorgelegte Gutachten überdies eine gesonderte Überschuldungsbilanz für jede deutsche Gesellschaft erstellt habe“ (Rn. 60). Nun kennt das deutsche Recht keine Konzerninsolvenz; § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO knüpfen an die Insolvenzreife der jeweiligen Gesellschaft an. In den zitierten, wenigen Worten dürfte keine Abkehr des II. Zivilsenat von diesem fundamentalen Grundsatz liegen; hierfür spricht auch der Hinweis, dass sich die Überschuldung auch für jede einzelne Gesellschaft aus den Akten ableiten ließ.

bb) „Schneeballsystem“ als Insolvenzgrund?

Dass der BGH bei klassischen Kategorien bleibt, lässt sich auch Rn. 71 des Urteils entnehmen, „die Annahme des Berufungsgerichts, bereits das Wesen eines Schneeballsystems führe per se zu einer Überschuldungsvermutung“ sei für das Berufungsurteil nicht tragend gewesen. Das Berufungsgericht habe seine tatrichterliche Überzeugung von der Überschuldung … unabhängig davon aufgrund der konkreten Umstände und vorgelegten Unterlagen gebildet“.

cc) Rückkaufverpflichtungen als Grund für Überschuldung

Überraschend ist, dass die Überschuldung nach dem BGH aus der Pflicht der Gesellschaften zum Rückkauf der investierten Container von den Anlegern ableitete. Der BGH stützte dies auf die in bestimmten Verträgen enthaltene Klausel, „nach Ablauf der Garantiezeit ist [die Gesellschaft] bereit, die Container zurückzukaufen und wird rechtzeitig vor Ablauf des Vertrags ein Kaufangebot unterbreiten" (Urteil, Rn. 63); dabei genügte es ihm, dass das OLG München die Passivierungspflicht damit begründet hatte, es habe bei bestimmten „Verträgen eine rechtliche Verpflichtung der Vertriebsgesellschaften zum Rückkauf der Container bestanden“ (Urteil, Rn. 62). Diese Begründung ist freilich mangelhaft: Bilanz- und überschuldungsrechtlich liegt im Kauf eines Vermögensgegenstands, zumal im Kauf zum Marktpreis, lediglich ein Aktivtausch (Buchungssatz: „Per Kasse an Anlagevermögen“), und in der Verpflichtung hierzu demgemäß keine Verpflichtung, die das Eigenkapital schmälert; die zitierte Klausel deutet auch nicht darauf hin, dass in der Kaufverpflichtung Restwertrisiken lagen, denn die Gesellschaften sollten ja „ein Angebot“ unterbreiten. Anders könnten die Dinge im Rahmen der Zahlungsunfähigkeit liegen, wenn sich die Container nicht gleichzeitig oder binnen drei Wochen zum gleichen Preis wieder abstoßen ließen. Auf Zahlungsunfähigkeit stellt der BGH ab nicht ab. Ohne nähere Aktenkenntnis lässt sich dies freilich nicht sicher beurteilen, zumal die Revision dies betreffenden Ausführungen des OLG München nicht angegriffen hatte. Aus sich heraus sind die Formulierungen des BGH jedoch unschlüssig.

dd) Prozessuale Pflichten des Gerichts

Dies führt zu einem weiteren Defizit des BGH-Urteils: Der Beklagte hatte vorgetragen, die Feststellungen zur Überschuldung erforderten besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand; diesen habe das Berufungsgericht nicht für sich in Anspruch nehmen dürfen, sondern hätte insbesondere nach der bekannten Rechtsprechung des BGH zur handelsbilanziellen Bewertung risikobehafteter Forderungen[vii] einen Sachverständigen einschalten müssen. Nach dem II. Zivilsenat ist diese Rechtsprechung „nicht ohne Weiteres auf die Feststellung einer rechnerischen Überschuldung übertragbar“. Maßgeblich seien vielmehr die im konkreten Fall zu bewertenden Umstände und erhobenen Einwände. Im Streitfall sei es um „rechtliche Fragen (Zulässigkeit der gesellschaftsübergreifenden Betrachtung, Passivierung von Rückkaufverpflichtungen)“ gegangen, die ohne sachverständige Hilfe zu beantworten gewesen seien (Rn. 73). Dies ist angesichts des Umstands zu bezweifeln, dass die rechtlichen Schlussfolgerungen des II. Zivilsenats zur Passivierung des Rückkaufsverpflichtung im Urteil, wie dargelegt, jedenfalls unschlüssig formuliert sind. Das Urteil deutet darauf hin, dass sich OLG und BGH selbst überschätzt haben.

ee) Der Kampf um den Sachverhalt

Einmal mehr zeigen die vorstehenden Punkte die hohe Bedeutung des „Kampfs um den Sachverhalt“ in Insolvenzverschleppungsprozessen. Dieser Kampf muss aber der ersten Instanz geführt werden, um nicht Verspätungsrisiken zu laufen (vgl. a.a.O., Rn. 65, 67 f.).

        1. Haftung für Verträge, die nach Ausscheiden des Geschäftsführers abgeschlossen werden

In seinem Urteil hat der BGH ferner entschieden, dass mit dem Ende seiner Organstellung die Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers entfällt, bereits begangene Pflichtverletzungen aber nicht rückwirkend aufgehoben werden; vielmehr haftet der aus dem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO „grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen zu der Gesellschaft getreten sind, wenn die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene verschleppungsbedingte Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbesteht“ (Leitsatz; Urteil, Rn. 80 ff.)

Nach dem BGH ist die Haftung eines ausgeschiedenen Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung „nicht grundsätzlich“ auf vor seiner Amtsbeendigung entstandene Schäden beschränkt. Vielmehr haftet der aus dem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen zu der Gesellschaft getreten sind, „wenn die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene verschleppungsbedingte Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbesteht.“ Zwar entfielen mit Amtsende die Organpflichten und damit auch die Insolvenzantragspflicht „ex nunc“. Bereits begangene Antragspflichtverletzungen werden nach dem BGH „durch den Fortfall der Organstellung aber ebenso wenig rückwirkend beseitigt wie die Verantwortung des Geschäftsführers für darauf zurückzuführende Verschleppungsschäden, Daher hafte der Geschäftsführer grundsätzlich auch für Verschleppungsschäden von Neugläubigern, die erst nach der Beendigung seiner Organstellung Vertragspartner der Gesellschaft geworden sind, wenn die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch fortbesteht und damit für den Verschleppungsschaden (mit)ursächlich geworden ist.

Hier verweist der BGH schulmäßig zunächst auf die Äquivalenztheorie: Denn bei Antragstellung wäre es nicht mehr zu den betreffenden Verträgen gekommen. Die Verspätung sei auch adäquat kausal, weil die Unterlassung der Antragstellung „im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, … zu weiteren Vertragsschlüssen der Gesellschaft zu führen“ (Rn. 81). Die Schäden lägen auch im Schutzzweck der Insolvenzantragspflicht, da diese auch bezwecke, insolvenzreife Gesellschaften vom Geschäftsverkehr fernzuhalten. Auch sei der für eine Zurechnung erforderliche innere Zusammenhang zwischen der Gefahrenlage und dem eingetretenen Verschleppungsschaden in der Regel zu bejahen. Diffiziler war die Frage, ob die Verantwortung des ausgeschiedenen Geschäftsführers nicht durch die Insolvenzantragspflichten des neuen Geschäftsführers abgeschnitten wird. Hier beruft der BGH sich jedoch auf die Grundsätze der Mitursächlichkeit der ursprünglichen Antragspflichtverletzung durch den ausgeschiedenen Geschäftsführer und den infolge des Fortbestands der Gefahrenlage verbleibenden Zurechnungszusammenhang. Dieser entfalle nur, wenn eine zweite Ursache den Geschehensablauf so verändert habe, „dass die Rechtsgutsverletzung bei wertender Betrachtung nur noch in einem "äußerlichen", gleichsam "zufälligen" Zusammenhang zu der durch die erste Ursache geschaffenen Gefahrenlage steht. Wirken in der Rechtsgutsverletzung dagegen die besonderen Gefahren fort, die durch die erste Ursache gesetzt wurden, kann der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang nicht verneint werden“ (Rn. 85). Anderes gelte nur wenn bei wertender Betrachtung das vom Erstschädiger geschaffene Risiko schon gänzlich abgeklungen sei. Ein Schädiger könne sich daher regelmäßig nicht damit entlasten, ein anderer habe die von ihm geschaffene Gefahrenlage pflichtwidrig nicht beseitigt. Die Frage, ob einer der Geschäftsführer dem Schaden bei wertender Betrachtung näher stehe als der andere, sei nur für ihren Ausgleich im Innenverhältnis von Bedeutung (ebda.). Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs kommt nach dem BGH nur in Betracht, wenn das durch die Pflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers geschaffene Risiko sich bei wertender Betrachtung bei Abschluss des zum Schaden des Neugläubigers führenden Vertrags nicht mehr auswirkt, z.B. wenn sich die Gesellschaft nach der Antragspflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers „zunächst wieder nachhaltig erholt“. Allein der zeitliche Abstand reicht dem BGH hierfür aber nicht. Dies entspricht sachlich der ständigen Rechtsprechung des BGH, wonach der der objektive und subjektive Tatbestand einer Insolvenzverschleppung als Dauerdelikt zur Zeit des zum Schaden des "Neugläubigers" führenden Geschäftsabschlusses noch vorliegen muss[viii].

Für die Praxis bedeutet dies zweierlei: Zum einen darf der Geschäftsführer eines Unternehmens in der Krise nicht einfach „die Brocken hinwerfen“, sondern muss sicherstellen, dass er seine bis zum Ausscheiden bestehenden gesetzlichen Pflichten erfüllt hat. Zum anderen bestätigt sich einmal mehr: Wer in einer D&O – Angelegenheit in Anspruch genommen wird, darf sich nicht nur seiner Verteidigung widmen, sondern muss intensiv die Frage prüfen, ob anderen Parteien der Streit zu verkünden ist, hier den Amtsnachfolgern des Geschäftsführers.

        1. D&O Deckung

Die Entscheidung ist auch aus Perspektive der D&O – Versicherung bedeutsam: Versicherungsschutz wird grundsätzlich zu den Bedingungen der Versicherungsperiode (und im Rahmen der dafür geltenden Versicherungssumme) gewährt, die läuft, wenn der „Versicherungsfall“ eintritt.[ix] „Versicherungsfall“ wiederum ist nach den D&O-Versicherungsbedingungen typischerweise die erste Inanspruchnahme oder die Einleitung des ersten Verfahrens („claims made-“ oder Ansprucherhebungs- Prinzip). Manche Klauselwerke modifizieren dies durch Nachmeldefristen und die Möglichkeit zu Umstandsmeldungen: Nachmeldefristen gewähren Versicherungsschutz für Versicherungsfälle, die innerhalb einer bestimmten Frist nach Vertragsende eintreten, aber auf Pflichtverletzungen beruhen, die während der Versicherungslaufzeit begangen wurden. Die Möglichkeit zu Umstandsmeldungen wiederum eröffnet Deckung z.B. für den Fall, dass dann, wenn während einer Versicherungsperiode Umstände entdeckt werden, die wahrscheinlich zu einem Versicherungsfall führen, diese dem Versicherer vorsorglich angezeigt werden. Ein auf diesen Umständen beruhender Versicherungsfall gilt in der Versicherungsperiode als eingetreten, in der die Umstandsmeldung erstmals erfolgt ist.[x] Endete die Versicherung im Zuge der Insolvenz, weil der Insolvenzverwalter sie nicht weiterführte,[xi] kann die Entscheidung des BGH Deckung eröffnen, wenn der vor Insolvenzantrag ausgeschiedene Geschäftsleiter später in Anspruch genommen wird.

        1. Fazit

Zwei Schlußfolgerungen sind aus dem Urteil zu ziehen:

(1) Die Entscheidung des BGH erweitert die Haftung ausgeschiedener Geschäftsführer, weil sie die Kausalität einer vor Ausscheiden pflichtwidrig begangenen Insolvenzverschleppung für nach Ausscheiden eintretende Neugläubigerschäden grundsätzlich bejaht. Der BGH stützt dies auf die allgemeine Kausalitätsüberlegung, dass eine durch die Verschleppung geschaffene „Gefahrenlage“ auch im weiteren Verlauf der Pflichtverletzung zurechenbare Schäden verursachen kann. Dies soll gelten, wo die „Gefahrenlage“ nicht nachhaltig bereinigt wurde. Da auf allgemeine Kausalitätsüberlegungen gestützt, dürfte dies nicht nur bei der Insolvenzverschleppung, sondern in allen Fällen gelten, in denen der ausgeschiedene Geschäftsleiter eine „Gefahrenlage“ hinterlassen hat, die sich später auswirkt. Dies kann heißen: Ein Geschäftsleiter darf nicht einfach „die Brocken hinwerfen“, wenn er im Unternehmen pflichtwidrig „Gefahrenlagen“ geschaffen hat.

(2) Einmal mehr zeigt sich die hohe Bedeutung des „Kampfs um den Sachverhalt“ in Insolvenzverschleppungsprozessen. Dieser Kampf muss aber der ersten Instanz geführt werden, um nicht Verspätungsrisiken zu laufen.

Fortsetzung folgt

[i] BGH NZG 2007, 678, 679; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 93 Rn. 71 (zu § 93 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 6 AktG).

[ii] Z.B. BGHZ 29, 100, juris Rn. 14; BGHZ 126, 181, juris Rn 22; BGHZ 175, 58, juris Rn. 10; OLG Brandenburg, Urt. vom 02.02.2024, 7 U 175/19, unter Ziff. 1.3 der Entscheidungsgründe, BeckRS 2024, 2662.

[iii] BGHZ 175, 58, juris Rn. 10; OLG Brandenburg, Urt. vom 02.02.2024, 7 U 175/19, unter Ziff. 1.4 der Entscheidungsgründe, BeckRS 2024, 2662.

[iv] BGHZ 175, 58, juris Rn. 10; BGHZ 171, 46, Rn. 12; BGHZ 138, 211; BGHZ 138, 211; BGHZ 175, 58.

[v] Vgl. Streifzug 1 vom 20.08.2024; OLG Brandenburg, Urt. vom 02.02.2024, 7 U 175/19, unter Ziff. 1.4 der Entscheidungsgründe, BeckRS 2024, 2662

[vi] Urt. v. 24. Juli 2024 - II ZR 206/22.

[vii] BGH, Urt. v. 20.01.2022 - III ZR 194/19, ZIP 2022, 425 Rn. 25; Urt. v. 09.02.2023 - III ZR 125/20, AG 2023, 535 Rn. 26 ff.

[viii] Ebda., Rn. 87, mit Verweis auf BGH, Urt. v. 25.07. 2005 - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 56; Urt. v. 05.02.2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46, Rn. 8, 10; Urt. v. 15.03. 2011 - II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 9; Urt. v. 19.11. 2019 - II ZR 53/18, NZI 2020, 167, Rn. 17.

[ix] Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Auflage 2022, § 9 Rn. 2.

[x] Näher OLG Frankfurt, Urt. v. 29.11.2024 - Az. 7 U 82/22; dazu Reuter, Die Erschöpfung der D&O-Versicherung, Compliance Blog Beitrag v. 02.02.2025.

[xi] Zu den Kündigungsregeln und deren Einschränkung zuletzt BGH, Urt. v. 18.12.2024 - IV ZR 151/23.

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