Compliance allgemein

Managerhaftung bei Insolvenzverschleppung: Widersprüche zwischen BGH und IDW bei der Zahlungsunfähigkeit (Streifzug 2)

In zwei neuen Streifzügen auf unserem Blog nehmen wir uns des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit an. Der Begriff ist zentral und in der Tat hat der BGH (IX. ZS) 2005 dazu ein Grundlagenurteil gefällt. Hiernach ermittelt sich Zahlungsunfähigkeit aus einer Kombination (stichtagsbezogener) Zahlen eines Status mit den dynamischen (auf den folgenden 3-Wochen Zeitraum bezogenen) Zahlen einer Verlaufsrechnung. Nach neueren Entscheiden des BGH reicht unter bestimmten Umständen zum „Nachweis“ der Zahlungsunfähigkeit aber auch eine Serie von Finanzstatus aus, gleichsam eine juristische Tomographie, die nicht durch Verlaufsrechnung, sondern per schichtweiser Darstellung ein Bild des Finanzinfarkts abgeben soll. Verändert also der „Nachweis“ das Nachzuweisende? Die Frage ist gravierend, da der Verlaufsrechnung des Drei-Wochen-Zeitraums als prognostischem und Zeitraum-bezogenem Bestandteil der Zahlungsunfähigkeit sowohl rechtliches als auch rechnerisches Gewicht zukommt.

Jetzt knüpft auch der neue Standard IDW S 11 des Instituts der Wirtschaftsprüfer an die Finanzstatus für die Berechnung der Zahlungsunfähigkeit an, erhöht auf dieser Grundlage die prozentuale „Deckungslücke“ gegenüber dem BGH und warnt, eine Berechnung nach dem BGH berge für Rechtsanwender und Gutachter Haftungsgefahr. Das ist ein starkes Stück.

Weil der kombinierten Berechnung aus statischen und dynamischen Zahlen nach dem BGH rechtliche Wertungsgesichtspunkte zugrunde liegen, weil der Nachweis sich am Nachzuweisenden auszurichten hat, und weil betriebswirtschaftliche Standards (nicht nur bei § 17 InsO) den rechtlichen Vorgaben folgen müssen, nicht umgekehrt, kann sich der Warnhinweis von IDW S 11 aber ins Gegenteil verkehren.

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Managerhaftung bei Insolvenzverschleppung: Streifzüge durch Gerichts- und Verhandlungspraxis (Streifzug 1)

Rechtsverstöße bei Insolvenzverschleppung bilden nach Fallzahlen den Schwerpunkt der Manager-Haftung. Das Gesetz lässt die Geschäftsleiter grundsätzlich für alle Zahlungen des Unternehmens ab Insolvenzreife haften. Bei Geltendmachung derartiger Ansprüche muss freilich eine ganze Reihe materiell- und verfahrensrechtlicher Hürden überwunden werden, die nicht nur Gegenstand vieler Gerichtsentscheidungen sind, sondern in Vergleichsverhandlungen einfließen. Der Gesetzgeber hat die Materie vor einiger Zeit novelliert. Zugleich nimmt derzeit die Zahl von Insolvenzen wieder zu. All‘ dies lässt vermehrte Auseinandersetzungen dieser Art erwarten. Daher sollen auf unserem Blog von Zeit zu Zeit Streifzüge durch praktische Aspekte des § 15b InsO unternommen werden, denen vor Gericht und im Vergleichsgespräch Bedeutung zukommen kann. Der folgende Beitrag ist der erste dieser Streifzüge.

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Neues zum Bußgeldregress: LG Dortmund bejaht, OLG Düsseldorf verneint den Regress wegen GWB-Unternehmensbußen gegen das Management

Werden Unternehmen für Rechtsverstöße Bußgelder auferlegt, so stellt sich die Frage, ob die Unternehmen die Geschäftsleiter, die für den Verstoß verantwortlich sind, in Regreß nehmen können. Die Frage ist umstritten. Je höher Bußgelder werden, desto wichtiger wird sie. Wegen ihrer exorbitanten Höhe nähren insbesondere Bußgelder wegen Verstößen gegen europäisches und nationales Kartellrecht die Diskussion. Zwei ganz neue - konträre - Urteile des LG Dortmund und des OLG Düsseldorf, aber auch der Gesetzgeber geben der Diskussion neue Impulse.

Der Artikel resumiert die neuen Entscheide und zieht die Konsequenzen für die Praxis: Prozessual ist der BGH gefordert. Solange die Thematik nicht letztinstanzlich entschieden ist, können Aufsichtsorgane, die über die Geltendmachung von Ansprüchen in derartigen Fällen zu entscheiden haben, von deren Geltendmachung aber nicht allein mit dem Argument absehen, Regress sei rechtlich nicht möglich. Sie müssen auch die Regeln zur Verjährung beachten, die LG Dortmund und OLG Düsseldorf zum Verjährungsbeginn ausgearbeitet haben. Offen ist weiter die Frage, wie die Verhälnisse im EU-Recht liegen. Auch gibt der BISG-E des deutschen Gesetzgebers neue Impulse. Am Ende stellt sich auch die Frage, ob das Gesamtsystem der Unternehmensbußen nicht an einem systemischen Fehler krankt.

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Die ESG-Regeln der EU: Multiple verbundene Eingriffe mit unverhältnismäßigen Folgen

Am 01.06.2023 hat das EU-Parlament den Entwurf der Corporate Sustainability Due Diligence Directive[1] (CSDDD) auf den Weg gebracht. Die CSDDD soll eine weitere zentrale Säule des Regelungsgebäudes für „Corporate Social Responsibility“ (CSR) und „Environment/Social/Governance“ (ESG) werden, das die EU derzeit errichtet. Im Folgenden soll zunächst Überblick über die Vorschriften vermittelt werden. Die Vorschriften erweitern und schärfen den Begriff der „Nachhaltigkeit“ erheblich und machen sich die Instrumente der Rechnungslegung und des Gesellschaftsrechts dienstbar[2]. Zweck ist es, Investitionen zu lenken, die gesamte EU-Volkswirtschaft zu transformieren, die Unternehmen hierzu in die Pflicht zu nehmen und Dritten Klagemöglichkeiten einzuräumen. Die Vorschriften bringen hohe Kosten und sonstige Belastungen für die Unternehmen mit sich. Vielfach sind die Regeln freilich für den Schutz von Klima, Umwelt und Menschrechten weder notwendig, noch geeignet; dies gilt insbesondere für den Bereich der „Governance“. Dies rückt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in den Blick, der dem Gesetzgeber auf EU- und nationaler Ebene Schranken setzt. Die Unternehmen sollten im anstehenden politischen Prozess darauf pochen, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Das gilt nicht nur für die CSDDD, sondern auch für die die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung der Unternehmen[3] (Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)) und ihre Umsetzung.

[1] Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM/2022/71 final, Dokument 52022PC0071, Ziff. 1 der Begründung.

[2] Vgl. Schön, „Nachhaltigkeit“ in der Unternehmensberichterstattung, ZfPW 2022, 207, 210, auch zu den internationalen Bezügen.

[3] Richtlinie 2013/34/EU vom 26.06.2013 in der Fassung der Richtlinie (EU) 2022/2464 vom 14.12.2022 („Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung“ oder „Corporate Sustainability Reporting Directive [CSRD]“)

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Befreit vernünftige Organisation die Geschäftsleitung von Haftung? OLG Nürnberg zu Vier-Augen-Prinzip und Compliance Management Systemen

Nach der Business Judgment Rule („BJR“) haften Unternehmensorgane nicht, solange ihre Entscheidungen „vernünftig“ vorbereitet und begründet sind und das Unternehmen „vernünftig“ organisiert ist. Organisation ist nicht „alles“, bietet dem Geschäftsleiter aber die Chance, unternehmerisch zu führen, ohne sich in Haftung zu verstricken. Was eine vernünftige Organisation ist, ist zunächst ebenfalls eine unternehmerische Frage. Ein Entscheid des OLG Nürnberg von 2022 macht aber deutlich, dass die Gerichte nicht davor zurückscheuen, organisatorische Standards aufzustellen. Das steht im Einklang mit der wachsenden Neigung des Gesetzgebers, inhaltliche Vorgaben an Unternehmen mit organisatorischen Anweisungen zu flankieren wie z.B. der Entwurf der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) der EU. Dass dies nicht immer überzeugt, zeigt das Urteil des OLG Nürnberg.

[1] OLG Nürnberg, Urt. v. 30.03.2022 – 12 U 1520/19, Rn. 74 ff.; DB 2022, 2153 = NZG 2022, 1058.

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